Autor Dariusz Muszer und „sein“ Deutschland
Um gleich das erste Missverständnis auszuräumen: Dariusz Muszer ist nicht identisch mit dem Helden seines Romans „Die Freiheit riecht nach Vanille“, aus dem der in Hannover lebende, ursprünglich polnische Schriftsteller am Donnerstagabend in der Garchinger Stadtbücherei vorlas. Denn dann wäre der Aufenthalt in einem Raum mit ihm tatsächlich so gemütlich, wie mit den Klitschko-Brüdern in einem Aufzug zu stehen, wie es ein Kollege von der Leipziger Volkszeitung einmal formulierte. Aber Muszer ist Autor und nicht Boxer, weswegen die Schläge, die er austeilt nicht körperlicher sondern geistiger Natur sind.
Neigung zur Provokation
Mit seiner Neigung zur Provokation ist er in dieser Hinsicht jedoch mindestens ein Mittel-Schwergewicht. Das bekam auch das Publikum zu spüren, das seine Äußerungen zur „deutschen Krankheit“, jener Neigung, Deutscher zu sein, aber sein Vaterland nicht zu lieben, erst einmal diskursiv verdauen musste. Insbesondere ein Satz wie „Ich finde die Rechtsradikalen irgendwie sympathisch. Die sagen ‚Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein’, das ist wenigstens ehrlich“, trifft das deutsche Gemüt an einer empfindlichen Stelle.
Die Folge war eine angeregte Debatte über die deutsche Befindlichkeit, was insofern schade war, als darüber das literarische Ereignis per se verloren ging. Hier ist nun das nächste Missverständnis auszuräumen. Muszer ist auch kein Neonazi oder einfach ein polnischer „Provo“, der mal seine Leserschaft richtig aufmischen möchte. Er ist mehr. Muszer hat ein Anliegen. „Ich beschreibe die Gesellschaft, in der ich lebe. Und ich schreibe für sie. Deshalb schreibe ich auf Deutsch“.
Er hält seinem Gastland, das mittlerweile sein Heimatland ist, in der Form des Schelmenromans einen Zerrspiegel vor. Nur: Die schon notorische Brutalität der Helden hat er gesteigert. Der moderne Till Eulenspiegel ist ein Massenmörder. Denn die Gewalt gehört für Muszer zur sozialen Realität. Deren literarische Wiedergeburt aus der Perspektive eines polnischen Immigranten hat der heute 41-jährige Romancier und Lyriker gespickt mit Parodien großer Kollegen und unterfüttert mit esoterischen Anleihen. Dieses Konglomerat nutzt Muszer zu provokanten Einsichten: Für den Ich-Erzähler riecht bei seiner Ankunft in Hannover die Freiheit nach Vanille. Aber auch bei seinen ersten Morden an Tieren verspürte das Kind den Duft der Vanille.
Für den Helden haben Brutalität und Freiheit den gleichen Duft. „Ich wollte etwas Leichtes über etwas Todernstes schreiben“, so Muszer. Das ist ihm gelungen, wenn auch manchem Leser diese Mischung im Halse stecken bleiben wird.
Süddeutsche Zeitung, 16. Oktober 2000
© Peter Oberstein
Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten