„Meine Aufgabe ist simpel: Das Unfassbare in Worte zu fassen“

Man kann die Erdlinge nicht ernst nehmen.

Ein Gespräch mit Dariusz Muszer

 

Sie haben, wenn man den Angaben Ihres Verlages trauen darf, ein kunterbuntes Berufsleben hinter sich.

Den Verlegern darf man grundsätzlich nicht trauen, aber eins ist sicher: Im Falle meines Berufslebens hat der A1 Verlag aus München mächtig untertrieben. Man wollte die potentiellen Leser mit meinen fünfunddreißig Jobs nicht erschrecken. Nicht mal ein Pole kann so vielseitig sein.

Wann ging das bei Ihnen mit dem Schreiben los?

Mein erstes Buch habe ich als Neunjähriger geschrieben. Daraus können wir schließen, dass ich als Beobachter und Bewahrer menschlicher Gedanken auf die Erde geschickt wurde. Meine Aufgabe ist simpel: das Unfassbare in Worte zu fassen. Und ich versuche, meine Pflicht so gut wie möglich zu erfüllen. Im Namen derer, die nicht schreiben können oder gerade etwas Besseres zu tun haben. Ich schaue mich also um und dann erzähle ich meinem Computer alles, was ich durchgekaut habe.

Warum schreiben Sie auf deutsch?

Zur Zeit verwende ich zwei Schreibsprachen, um mit den Erdlingen zu kommunizieren: Polnisch, weil das meine Muttersprache ist, und Deutsch, weil die hiesige multikulturelle Menschheit keinen Bock hat, Polnisch zu lernen. Da bin ich ihr entgegengekommen und habe gelernt, auf Deutsch zu stottern. Irgendwie können wir uns verständigen. Denn nicht die Sprache ist wichtig, sondern das, was man zu sagen hat. Bilder, die man dabei zu vermitteln versucht, sind auch nicht ganz ohne.

Ihre beiden ersten in der Bundesrepublik erschienenen Werke könnte man am ehesten als Krimis bezeichnen. Wieso sind Sie dann ausgerechnet darauf gekommen, etwas über fliegende Kalmücken, himmelblaue Außerirdische und Gottes Homepage zu schreiben?

Das ist doch eigentlich selbstverständlich, dass man nach Romanen über einen Taxifahrer, der sich in eine Echse verwandelt, und über einen Massenmörder, der in Hannover herumspukt, ein wenig Aufmunterung braucht und über fliegende Kalmücken schreiben möchte. Das ist der Lauf der Dinge. Und je länger man auf der Erde lebt, desto öfter glaubt man, dass man sich in einem Science-Fiction-Buch befindet.

Ihr jüngstes Buch „Schädelfeld“ schildert eine postapokalyptische Gesellschaft, eine Art Kombination aus Auschwitz und Fukushima. Meinen Sie, dass uns tatsächlich ein Absturz in den Kannibalismus droht?

Was ich meine, spielt doch keine Rolle. Wir werden es tun, weil es möglich ist. Wir haben schon so viele Tabus gebrochen, warum auch nicht dieses? Zur Zeit begnügt sich der Mensch noch mit dem Verspeisen von vergifteten Tieren und überdüngten Pflanzen. Was macht er aber, wenn er alles annähernd Essbare totgetrampelt hat und wenn die Tiere unseren Planeten verlassen haben? Er wäre gezwungen, sein eigenes Fleisch zu essen.

Haben wir unsere Zukunft noch selbst in der Hand?

Ein Meteorit, eine Naturkatastrophe oder auch ein Virus könnten ziemlich schnell die Sache regeln, zu unseren Ungunsten. Die einzige Entscheidung, die wir selbst treffen können, ist die: Jagen wir unseren Planeten in die Luft und begehen wir damit kollektiven Selbstmord oder lassen wir es. Ich habe mich noch nicht entschieden, welche Option für das Multiversum günstiger wäre.

Vom kosmologischen Laien gefragt. Das Multiversum ist die Gesamtheit aller möglichen Parallelwelten?

Das Multiversum ist eine Computersimulation. Es ist ein Spiel, das jemand einst eingeschaltet hat, und es läuft und läuft. In diesem Spiel spielen die Erdlinge eine untergeordnete Rolle, was ihnen aber nicht bewusst ist, denn sie selbst sehen sich als den Nabel des Multiversums. Daher kann man die Erdlinge nicht ernst nehmen. Sie sind zu aufgeblasen und zeigen zu wenig Demut.

Derzeit macht man für jede Schweinerei die Europäische Union verantwortlich. Bei Ihnen liest man von einem blauen Drachen mit vielen Sternen, der Ihre Heimat verschlungen habe. Wer sind denn die Hintermänner dieses Drachens namens Union, welche permanent auf der Suche nach Arbeitssklaven sind?

Es war nicht meine Heimat, die in dem Buch verschlungen wurde, sondern die von Hagid, einem der Protagonisten. Meine Heimat kann keine Macht dieser Welt zerstören, denn ich trage sie immer bei mir, tief in meinem Gedächtnis versteckt. Erst dann, wenn ich Alzheimer bekomme oder wenn ich zurück zu den Sternen reise, wird auch meine Heimat aufhören zu existieren. Übrigens ist die Geschichte von Hagid von der Hungerkatastrophe in der Ukraine der Jahre 1932 und 1933 angeregt, damals starben dort mehrere Millionen Menschen. Eine andere Union war damals dafür verantwortlich, die auch vorgab, Menschen glücklich machen zu wollen. Sie hieß Sowjetunion. Als Homo sapiens muss man immer gut aufpassen, wenn die Sklaventreiber sich entschließen, eine Vereinigung zum Wohle der Gesellschaft zu gründen. Und es ist egal, ob sie kapitalistisch oder sozialistisch veranlagt sind. Und Hintermänner? Diejenigen, die die Photonen kontrollieren, kontrollieren auch die Welt. Denn ohne Licht können wir nicht leben. Am Anfang war die Dunkelheit. Finde heraus, wer das Licht angemacht hat und wer es ausschalten kann.

Sie haben in einem Ihrer Bücher den Kommunismus definiert als „orthodoxe Glaubensrichtung, die den Menschen das Paradies auf Erden versprach“. Glauben Sie, dass sich irgendwann wenigstens auf einer der von dir beschriebenen Parallelerden die Menschen ihrer Parasiten entledigen und ein würdiges Dasein schaffen?

Beinahe dreißig Jahre meines Lebens habe ich in einer Utopie verbracht. Es war ein Experiment mit dem Sozialismus, das im 20. Jahrhundert gänzlich in die Hose gegangen ist. Seitdem mag ich alle Utopien, denn ich weiß, dass sie nicht von Dauer sind. Alles, was sich ein Mensch ausdenkt, kann ein anderer Mensch irgendwann herunterschlucken oder herunterspülen. Man braucht bloß Zeit und ein bisschen Wasser. Aber im Ernst: Es gibt schon solche paradiesische Planeten. Zum Beispiel Erde 33, über die ich in meinem Buch schreibe. Schau mal da vorbei! Aber benimm dich, mach keine krummen Geschäfte, sag immer die Wahrheit und versuche nicht, eine Bank oder eine Partei zu gründen. Denn sonst fliegst du sofort raus und landest wieder auf unserer Erde, auf unserem schönen Schädelfeld.

Interview: Gerd Bedszent

Phantastische Literatur, Beilage der Tageszeitung junge Welt vom 15.06.2016