Klaus Seehafer: “Der Echsenmann” – in einer prächtigen Ansammlung düsterer Ecken

Der neue Roman von Dariusz Muszer –
wieder im geheimnisvoll-trägen Hannover angesiedelt

 

Der EchsenmannVermutlich ist Hannover tatsächlich die langweiligste Großstadt Deutschlands. Aber der in Westpolen geborenen Schriftsteller Dariusz Muszer macht aus ihr in seinem neuen Roman „Der Echsenmann“ eine prächtige Ansammlung düsterer Ecken, wie sie einst Meyrink für Prag oder Eugen Sue für „Die Geheimnisse von Paris“ erfunden haben. Damit setzt er fort, was schon in seinem preisgekrönten Erstling „Die Freiheit riecht nach Vanille“ begonnen wurde. Auch dort war ihm Hannover „eine Stadt, die niemals schläft, aber immer schläfrig ist. Es ist eine Stadt wie die Menschen von heute: ohne Eigenschaften, ohne Charakter, ohne Gesicht“.

Nicht die Handlung, respektive die zahlreichen Handlungen sind es, die im neuen Roman zuerst auffallen. Das kommt alles erst nach einer Weile in Bewegung. Nein, es ist dieser einzigartig trockene Stil. Wie jemand so viel Bedeutung in so knappe Beschreibungen und Dialoge packen kann, bleibt Muszers Geheimnis; ich glaube, selbst gefinkelte Sprachwissenschaftler würden dem Phänomen mit ihrem Instrumentarium eher den Garaus machen, als daß sie es beschreiben könnten.

Der Held Espen Askeladden könnte einen Mord als Zeuge beobachtet haben. Aber damit beginnen schon die Unsicherheiten. Hat er oder hat er nicht? Wieso weiß er manchmal mehr, manchmal was anderes und manchmal gar nichts? Ist er nur ein Sonderling, oder ein berechnendes Schlitzohr? Seinem Therapeuten nennt er als Hauptproblem: „Dass ich manchmal alles vergesse, dass ich plötzlich nicht mehr weiß, was passiert ist.“ Und woher kommt Askeladden nun wirklich, aus Nord- oder aus Osteuropa?

Das Vergnügen, das sich durch den brillianten Stil und die phantastische Weise, Stimmung zu erzeugen aufgebaut hat, reduziert sich freilich in der zweite Hälfte des Buches ein wenig, weil die fortwährend Addition von Lebensvarianten doch etwas austauschbares hat. Askeladden ist Taxifahrer und behauptet mit einer gewissen Berechtigung, nebenher „Phantasieberater“ zu sein. Bei ihm steigen viele Leute ein, jeder erzählt ihm was, jedem erzählt er was. Immer gibt’s ein neues Geschichten. Immer wieder behauptet er, von woanders herzukommen, ist mal Friese oder Finne, mal Italiener, Rumäne, Bulgare.

Schwindeln darf er ja, und weil er sehr viel Phantasie hat, macht das auch immer wieder Spaß. Aber mit der Zeit mutet das Ganze doch wie ein Rosenkranz voller Beliebigkeitsperlen an.

Geradezu kafkaesk vom Schicksal gebeutelt erscheint der Held in jenen Momenten, da er sich in eine richtige Echse verwandelt, ein Tier mit Schuppenhaut und gespaltener Zunge. Dann möchte er sich schnell im Stadtwald oder sonstwo verstecken, bis der „Anfall“ vorbei ist. Eine Freundin nennt ihn Mister Hyde und empfiehlt ihrem Dr. Jekyll endlich was dagegen zu tun. Aber wie kommt jemand aus einer Haut heraus, die er ständig unfreiwillig wechseln muß?

Eine harte Nuß bleibt für den Rezensenten die eindeutige Bewertung des vieldeutigen Buchs. Ist es gut oder schlecht? Ja und nein. Habe ich mich gelangweilt? Manchmal. Meinen Spaß gehabt? Sehr oft. Überhaupt ist dieser Roman – was für ein Widerspruch! – trotz seiner Düsternis eigentlich durchgehend witzig! Also was? Ratlose Antwort: bitte selber lesen, verlorene Zeit ist das sicher nicht.

Oldenburgische Volkszeitung, 4. Januar 2002
© Klaus Seehafer

Dariusz Muszer: Der Echsenmann, Roman. A 1 Verlag, München, 208 Seiten