Dariusz Muszers Debütroman
Erst gestern hat er “große Scheiße gebaut”, heißt es da im Roman “Die Freiheit riecht nach Vanille”. Die Rede ist von einem unsympathischen Mann und Massenmörder, der aus Polen einreist. Er kommt nach Hannover, die berüchtigte Stadt der Menschenschlächter, wo auch sein Schöpfer seit elf Jahren lebt: Dariusz Muszer.
Göttinger Germanistikstudenten haben ihn bei einer Lesung ganz geschwind mit seinem Antihelden identifiziert und halbhöflich die Heimreise empfohlen. Muszer ist zwar vieles, – Schlosser, Staatsanwalt, Musikant, als Tischler ein Spezialist für Futtertröge und Särge, auch ein Totengräber – aber ein Mörder ist er nun mal nicht. Und außerdem, sagt er, bevorzuge er gänzlich andere Sexualpraktiken als seine Romanfigur. Seit zwei Monaten ist das Buch auf dem Markt. Der Verein Polnische Medien Nord lud ihn zu einem Autorenabend in das Studio des Offenen Kanals Kiel ein. Zumindest eckt Dariusz Muszer mit seinem sarkastischen Debütroman an. Sieben Romane hat er zuvor schon verfaßt, auf polnisch, fand aber keinen Verleger. Sein erster Versuch in deutscher Sprache war erfolgreich.
Polen und Deutsche, ein schwieriges Kapitel. „Es gibt keine Liebe zwischen diesen Nationen“, argwöhnt Muszer. Während offiziell Friede gelächelt wird, grummeln versteckt die Vorurteile gegen Autodiebespack. Und die Deutschen bleiben eben ewig „der Fritz“. In einem Kapitel provoziert der „Held“ den Fremdenhass des deutschen Polizisten Horst, worauf dieser den „stinkenden Polacken“ auf’s Korn nimmt, ihm aber kleinlaut Knabberzeug kauft, sobald er erfährt, der Pole sei Jude.
Muszer provoziert gern. „Klar habe ich für die polnische Geheimpolizei gearbeitet. Hat doch jeder“, sagt er, um Zuschauer der Lesung zu Bekenntnissen zu ermuntern. Zum Glück bleiben sie aus. Auch Muszer läßt sich ebenso wenig einordnen wie sein Held, der als sorbisch-deutsch-polnischer-jüdischer Mischling das „System Deutschland“ reflektiert. Auch Muszer sieht sich weder als Pole oder Deutscher oder Europäer. Aber ihn interessiert der neuerdings wieder erhöhte Bedarf einer solchen Zuordnung. Während die nationalen Grenzen fallen, vergewissert sich jeder doppelt seines angestammten Territoriums. Das schürt Gewalt. Sein Massenmörder hat kein rechtes Motiv. Ihm geht es eben nicht besonders gut. Kein Obsessiver, kein zwanghafter Lebensvernichter, kein Psychopath. Eben, so Muszer, wie 99,9 Prozent der Leser, die ausgeschlossen von der Macht nur von einer Sache reichlich haben: Unbehagen. Nicht so Muszer. Seit 18 Jahren schreibt er Romane. Jetzt, mit 40, hat er den ersten verkauft. Der Vertrag über den nächsten Roman ist schon unterschrieben. Einen Übersetzer könnte er gebrauchen. Warum nicht er selbst? „Das klappt überhaupt nicht. Ich habe es probiert“, sagt er auf Publikumsanfrage. Nein, dieses Buch sei in deutsch gedacht und gedichtet. Was beweise, dass die Sprache mehr als nur ein Medium des Denkens sei – sie bestimme es.
Kieler Nachrichten vom 01.11.1999
© Gerald Koll
Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten