Gabriele Boschbach: Freunde britischen Humors kommen auf ihre Kosten

Dariusz Muszer zum Literaturfrühstück
in der Stadtbibliothek /
Schnoddrig-kraftvoller Ton klingt an

 

Die Freiheit riecht nach VanilleLeer. „Es ist ziemlich früh.“ Dariusz Muszer blinzelt mit umschatteten Augen ins Publikum. Dann schweigt er. Nicht lange, vielleicht 15, höchstens 20 Sekunden. Eine dramaturgisch sehr geschickte Sprechpause. Schließlich soll jeder Gast in der Stadtbibliothek an diesem Morgen ausreichend Gelegenheit bekommen, die ersten vier Worte des Schriftstellers auf sich wirken zu lassen.

Worauf will er hinaus? Das Klischee des Autors als chronischer Langschläfer bedienen? „Eigentlich müssten wir alle in der Kirche sein“, fügt er lakonisch hinzu.

Tee und Texte statt Singen und Beten. Der Gast des ersten „Literaturfrühstücks“ in diesem Jahr offenbart bereits bei der Begrüßung sein Talent, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu kommunizieren. Zwei Sätze, zwanzig Assoziationen. Welch ein Feuerwerk hintersinniger Einfälle wird erst sein Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“ aufsteigen lassen?

Erzählt wird das Leben eines Psychopathen, eines Massenmörders, der seine polnische Heimat eines Tages in Richtung Deutschland verlässt und sich in Hannover ansiedelt. „Es ist eine Stadt, die niemals schläft, aber immer schläfrig ist. Eine Stadt wie die Menschen von heute: ohne Charakter, ohne Gesicht.“

Wenn die Ich-Figur urteilt, dann radikal und sarkastisch. Kommt ihr einer in die Quere, steht er nicht lange auf zwei Beinen. „Mit diesem Mann in einem Raum, das ist ungefähr so gemütlich wie mit den Klitschko-Brüdern in einem Aufzug“, befindet ein Rezensent.

Durch die von Muszer ausgewählten Kapitel erhält der Zuhörer den Eindruck als reagiere der Held in erste Linie auf die strukturelle und tatsächliche Gewalt, die er in Deutschland erlebt. Im damaligen Grenzdurchgangslager Friedland, im Kontakt mit der Polizei und den Behörden. Um Arbeit zu finden – und vor allen Dingen zu behalten –, muss er sich erniedrigen. Um zu überleben, töten.

Vom Betroffenheitsjargon sozialkritischer Literatur ist „Die Freiheit riecht nach Vanille“ so weit entfernt wie Günther Wallraff von Charles Bukowski. Ein schnoddriger, ungemein kraftvoller Ton klingt in dem Buch an. Wenn seine Lektüre Tränen hervorruft, dann solche der Heiterkeit. Zum Lachen gereizt fühlen dürfen sich jedoch vornehmlich Freunde angelsächsischen Humors.

Nach der Lesung stellt sich Dariusz bereitwillig den Fragen der Zuhörer. Der Vermutung, Romanheld und Autor seien in weiten Teilen identisch, trat er entschieden entgegen. Da müsse man trotz einiger Parallelen differenzieren. Für Hannover schließlich brach er beinahe eine Lanze. Eine Stadt, in der er 13 Jahre lebe, könne nicht so schlecht sein. „Noch nie habe ich an einem Ort so lange gewohnt.“

Der 41-Jährige ist nicht nur ein Freund häufiger Ortswechsel, er hat in vielen Berufen gearbeitet. Als Schlosser, Dachdecker, Tischler, Schauspieler, Regisseur, Taxifahrer, Kellner, Journalist, Totengräber und Staatsanwaltsanwärter. Als sein literarisches Werk 1988 der Zensur unterworfen wurde, emigrierte er in die Bundesrepublik Deutschland.

Ostfriesische Zeitung, 16.01.2001
© Gabriele Boschbach

Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten