Böses Märchen, beklemmende Lektüre: Dariusz Muszers „Schädelfeld“
Bereits der Titel des neuen Romans von Dariusz Muszer weckt beklemmende Assoziationen, und die erfüllen sich bei der Lektüre voll und ganz. „Schädelfeld“ ist ein böses Märchen über die Zerstörung des Planeten Erde, die von seinen Bewohnern, den Menschen, selbst ins Werk gesetzt wurde und wird. Ein Leser sollte gute Nerven haben, denn es bleibt ihm nichts (oder wenig) erspart. „Leiterung war eine der aufwendigsten und zeitraubendsten Methoden, jemanden zu Tode zu quälen. Man musste dem Delinquenten gekonnt viele Knochen und Gelenke brechen, bevor man ihn erfolgreich durch die Sprossen einer Leiter ziehen konnte. Dann lehnte man die Leiter gegen einen Baum oder eine Mauer und wartete geduldig. Auf solche Weise wurde vor vielen Jahrhunderten auch Dritte Schwester, die wichtigste Prophetin des Sprossenstieger-Kults umgebracht, die sich für eine Gesalbte des Multiversums hielt.“ Nicht gerade eine Geschichte für zarte Seelen. Wer allerdings Dariusz Muszers letzten Roman kennt, „Gottes Homepage“, von 2007, weiß solche Passagen auch mit einem Augenzwinkern zu lesen. Ich jedenfalls tu’s.
Die Phantasiewelt des polnischen Autors, der seit vielen Jahren in Hannover lebt, hat den Kosmos Erde schon eine Weile hinter sich gelassen. Seine Geschichten schweben durch verschiedene Parallel-Welten des Universums, von denen die Erde nur ein Sternchen unter unendlich vielen ist. Doch Muszers intergalaktischen Abenteuer bleiben stets – im wahrsten Sinn des Wortes – geerdet. So krude (und manchmal abstoßend) auch manche seiner überbordenden Einfälle wirken – bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass der Autor immer klar das Treiben der Menschen auf ihrem Planeten im Auge behält. Noch in den absurdesten Wendungen des erzählten Fantasy-Geschehens bleibt einem Leser der menschliche – besser unmenschliche – Untergrund durchsichtig.
Auf dem Planeten Erde hat ein großer Krieg stattgefunden. Vielleicht der letzte. Alles ist zerstört. Die Städte, die Natur mit ihren Pflanzen, den Tieren. Übrig geblieben ist ein riesiges „Schädelfeld“. Eine Handvoll Menschen hat überlebt und gräbt aus der verseuchten Erde die Knochen der Verstorbenen, um sich zu ernähren. Es geht nur noch um das schiere Überleben, ein freudloses, gehetztes Vegetieren. Denn zwei Völker haben sich der nahezu menschenleeren Erde bemächtigt: die Askaris und die Lunaki. Die Askaris sind ein Kriegerorden. Die Soldaten, die sich mit hydraulischem Schuhwerk hüpfend fortbewegen, ernähren sich ebenfalls von den Knochen aus der Erde oder vom Fleisch der Restmenschheit. Ihre Gegner, die Lunakis, „Kinder des Mondes“, mit drei Augen im Kopf, stammen aus dem Inneren des Mondes. Mit Raumschiffen sind sie auf die Erde gekommen, um von den Menschen, die sich und ihren Lebensraum zerstört haben, als „Leitzivilisation“ die Herrschaft des Planeten zu übernehmen. Hin- und hergetrieben von diesen zwei feindlichen Mächten schlagen sich vier Menschen durch, der Mann Kalong, seine Frau Liv und die beiden Kinder Kara und Justus. Ihr Überlebenskampf auf der nahezu leeren Erde steht im Zentrum der Romanhandlung.
Muszer weiß diesen trostlosen Kampf ums Dasein mit einer Spannung zu erzählen, die den Leser bei der Stange hält. Ein bisschen erinnert die letzten Menschen an Robinson Crusoe auf seiner isolierten Insel inmitten des weiten Meeres. Während die Eltern Liv und Kalong die Erde am Ende mit einem Raumschiff via Mond verlassen, bleiben ihre beiden Kinder zurück auf der Erde. Ob mit ihnen die „Runderneuerung“ des Planeten gelingt, ein „Heilungsprozeß“, der die Erde „in ihren Ursprungszustand zurückversetzt“? Damit könnte dann alles noch einmal von Neuem beginnen, allerdings jetzt unter der Aufsicht von Mondmenschen, nach allem, was die Menschheit angerichtet hat. Vielleicht nicht mal die schlechteste Lösung?
Nürnberger Nachrichten, 30.11.2015
CULTurMAG, 5.12.2015 (unter dem Titel „Böses Märchen“).
© Michael Zeller