Der Pole Dariusz Muszer in Deutschland
Auch wenn’s hier zu Lande vielleicht noch nicht tief genug ins Bewusstsein hinabgesunken ist: Polen ist Deutschlands unmittelbarer Nachbar im Osten, und das nicht erst seit zehn Jahren. Das Land zwischen Elbe und Oder war, lange bevor es Deutsche und Polen gab, gemischtes Siedlungsgebiet von germanischen und slawischen Stämmen. Städtenamen wie Leipzig, Chemnitz und Lübeck sind slawischen Ursprungs, bei den Flüssen Pegnitz und Regnitz ist es noch deutlicher herauszuhören. Und in der Lausitz (zwischen Spreewald und Bautzen) siedeln bis heute die westslawischen Sorben, mit eigener Sprache (und Literatur). Daran ist zu erinnern, wenn man den Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“ von Dariusz Muszer ganz verstehen will.
Der vierzigjährige Autor ist Pole, lebt aber seit 1988 in Deutschland: in Hannover. Er hat in Polen vor seinem Gehen ein paar Lyrikbände veröffentlicht, und auch in deutschen Literatenkreisen ist er kein Unbekannter mehr. Jetzt der Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“. Von einem Polen in deutscher Sprache geschrieben, ist es doch, Gott sei Dank, ein „polnisches“ Buch geworden, voll von schwarzem Humor und fantastischen Überschlägen. Natürlich schöpft Muszer dabei aus den eigenen Erfahrungen eines Lebens in und zwischen zwei Kulturen und Sprachen. Aber er löst sie virtuos auf in ein Spiel der Literatur, so dass man sein Buch auch als Kriminalroman lesen kann, mit deutlichem Überschuss der Fantastik allerdings.
„Ich, ein gefälschter Germane, ein sorbischer Schamane, ein verfluchter Mischling, ein europäischer Köter, ein Vierteljude aus dem Weltall“: so beschreibt sich Natelnik, der Held des Romans. Geboren auf einem sorbischen Opferstein auf der polnischen Seite der Oder, setzt er sich von seinem kommunistischen Land nach Deutschland ab, wie sein Autor nach Hannover,. dieser „Stadt der Untoten“, eine „zufällige, stets vernebelte Haltestelle, an der man auf ein besseres Leben und bessere Liebe wartet, aber es kommt nichts“.
Hier gerät der Neo-Germane ins Milieu der Stadtstreicher, die um den Bahnhof herumlungern, und dabei in kriminelle Umtriebe, die weit über sein Begreifen gehen, bis hin zum Mord. Es fließt reichlich Blut in dieser internationalen Unterwelt der Lokalmatador Fritz Haarmann lässt grüßen. Als ihr Drahtzieher entpuppt sich der berühmte deutsche Schriftsteller K. K. Er wildert in der Gaunerszene, auf der Jagd nach Stoff für seine heiß begehrten Bücher. Um den literarischen Ruf zu wahren, ist er dann gezwungen, die Informanten umzubringen. „Aus jedem seiner Morde fertigte er eine schöne, aufregende Geschichte, sogar aus denen, die stinklangweilig und geräuschlos waren.“
Natelnik hat das Pech, in K. K.’s Fänge zu geraten. Er wird von ihm in einen Luftschutzbunker gesperrt und soll ihm dort seine Lebensgeschichte aufschreiben. Unter diesen krausen Umständen so soll’s der Leser glauben ist Muszers Buch entstanden, und in dieser Lage schreibt sich es rücksichtslos. Und genau das tut Muszer. Politisch vollkommen unkorrekt, wühlt Naletnik die schlimmsten Vorurteile auf, die zwischen Polen und Deutschen schwiemeln. Oft genug fühlt sich der Leser ertappt dabei und muss sein Erschrecken darüber und die Scham (so vorhanden) ablachen Lachen ist die am häufigsten gereichte Medizin, die der Autor seinem Leser einträufelt. Und sie ist auch bitter nötig.
Denn gut weg kommt keiner dabei, die Deutschen so wenig wie die Polen, und der Leser schon gar nicht, von Naletnik ganz zu schweigen. Insofern probiert der Roman eine neue Stufe auf dem Verständigungsweg dieser beiden europäischen Nachbarn aus. Ich jedenfalls nehme die augenzwinkernde Kumpanei gerne an, die uns ein polnischer Autor da anbietet, ein bisschen frivol und ohne jede „Moralkeule“ hinterm Rücken, noch dazu in deutscher Sprache und literarisch versiert genug.
Nürnberger Nachrichten, 4./5. Dezember 1999
© Michael Zeller
Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten