Frank Füllgrabe: Der Mensch an sich ist schwierig

Dariusz Muszer im Heine-Haus

 

Die Freiheit riecht nach VanilleDariusz Muszer gelang mit seinem Debüt-Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“ ein Volltreffer. Live vom Autoren gelesen ist die Erzählung noch besser, davon überzeugten sich die rund 30 Gäste im Heine-Haus.

Der Mann, der da gerade von Polen nach Deutschland übersiedelt, ist nicht nett, wirklich nicht: Bereits im Grenzdurchgangslager Friedland scheucht er ein Kind, um selbst sitzen zu können. Noch im Lager schlägt er auf dem Klo einen Mann nieder; alles, was er anfängt, endet mit Prügel, wenn es sein muss mit Mord, und es muss oft sein. Jetzt sitzt er im Lüneburger Heine-Haus und liest mit viel Akzent. Der Mann heißt Dariusz Muszer, sein Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“, und beide sind ein Begriff – spätestens seit dem ersten Preis im Wettbewerb „Das neue Buch in Niedersachsen und Bremen“.

Ein Staatsanwalt und Totengräber

Natürlich ist Dariusz Muszer kein Mörder, er scheucht auch keine Kinder von ihren Stühlen. Und er spricht ziemlich gut Deutsch. „Der Akzent hat nichts mit mir zu tun“, sagt der Autor, aber ich lese aus dem Buch schon so lange, und der Held ist Ausländer“. Dieser Held kommt aus einer fernen Galaxie, eben aus Polen. Nach Friedland ist das müde Landeshauptstädtchen Hannover sein Revier. Nach Versuchen, durch ehrliche Schwarzarbeit Geld zu verdienen, taucht er schnell ab ins Dunkle. Dort leben Menschen, die sind noch härter drauf.
Der Roman beginnt so: „Ich bin das kleinste schwarze Arschloch im Universum. Seit meiner Geburt verschlinge ich alles, was mir in die Finger kommt, sogar mich selbst.“ Ein Monster? Die Wahrheit ist mal wider schwieriger. Dieser „Held“, er heißt Natelnik, ist die Frucht einer Vergewaltigung. Er wächst auf unter dem Hass der Mutter und nährt seine Wut in dem Bewusstsein, stets zu den unteren Zehntausend zu gehören. Er hat Familie, einen unzerstörbaren Überlebenswillen und einen zynischen Humor: „Man muss im Leben etwas haben; und ich habe eben Pech.“
Dariusz Muszer ist nicht Natelnik, was ihm in Zeitungen mit großen Buchstaben gern unterstellt wurde. Aber es gibt eine Parallele – einen kurvenreichen Lebenslauf, der in Polen begann und (1988) nach Hannover führte: geboren 1959, Jura Studium in Posen, Beschäftigungen unter anderem als Dachdecker, Totengräber, Journalist (die Reihenfolge ist nicht zwingend!), Regisseur, Taxifahrer, Staatsanwalt, Schlosser.

Erfolg mit Roman-Debüt

In Polen veröffentlichte Dariusz Muszer Lyrik, die „Freiheit“ ist sein erster Roman, gleich auf deutsch geschrieben. „Das ist für mich leichter“, sagt der Autor. „Ich kenne weniger Worte, schreibe nur, was wichtig ist.“ Vielleicht ist auf diese Weise der trockene Erzählstil entstanden, mit dem Dariusz Muszer Sümpfe bloßlegt – Ausländerfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft, zunehmende Kälte einander näher rückender Gesellschaften. „Der Mensch ist kompliziert“, sagt Dariusz Muszer. Das gilt auch für seinen Helden, der (trotz allem) ab und zu auch Sympathie verdient. Es hätte mit Natelnik so nicht kommen müssen, aber, na klar, so musste es ja kommen.

Lüneburger Landeszeitung, 22. Juni 2001, Nr. 143
© Frank Füllgrabe, Lüneburger Landeszeitung

Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten