Oskar Ansull: Die Freiheit riecht…

Eine kritische Montage zu Dariusz Muszer

 

Die Freiheit riecht nach Vanille»Vanille ist eine mexikanische Orchideengattung; die echte Vanille (Vanilla planifolia) wird überall in den Tropen als Kletterpflanze kultiviert, ihre Früchte, lange, schmale Kapseln oder Schoten, werden kurz vor der Reife geerntet und einem Gärungsprozeß unterworfen, dadurch wird Vanillin frei«, weiß das Lexikon. Und: »Die Freiheit riecht nach Vanille«, behauptet Dariusz Muszer schon im Titel seines 1999 im Münchener A1 Verlag erschienenen Romans. Der Verband deutscher Schriftsteller in Niedersachsen (VS) hat Muszers Buch mit dein Preis »das neue Buch « ausgezeichnet. Es wurde bundesweit besprochen – und gerne missverstanden meint der wie Muszer in Hannover lebende Autor Oskar Ansull. Es hat Muszer und seinen Rezensenten eine kritische Montage gewidmet, sozusagen eine Kritik der kritischen Kritik und Verteidigung der anrüchtigen Freiheit eines Autors.

Skurril & makaber & sarkastisch

Es ist kein Hannover-Roman, wie manche wohlmeinende Leser meinen, auch wenn die Handlung des Buches hauptsächlich in Hannover spielt. Es ist kein Buch eines Autors, der, von gelegentlichen Jobs abgesehen, von Sozialhilfe lebt und Frau und Kinder prügelt, wie der Rezensent einer überregionalen Tageszeitung gleich mehreren Autoren aus Osteuropa unterstellt. Der selbe Herr weiß auch, daß diese halt- und gewissenlosen Schreibgesellen Psychopharmaka nehmen und „verzwickte Onaniertechniken“ ausüben. Kein Wunder, schließt Herr Helmut Höge, so heißt jener geistverlassene Rezensent der taz, kein Wunder, wenn solch Autoren mit Rache, Gewalt und Heldenträumen das lädierte Selbstbewußtsein heilen müssen.

Muszers Roman ist auch keine mehr oder weniger verhüllte Autobiographie, wie manche Rezensenten gern kurzschließen (es handelt sich dabei um eine Art Rezensentenkrankheit, die leicht übertragbar ist). Es ist kein Emigrantenroman, auch wenn der Autor 1988 aus Polen nach Deutschland (Hannover) gekommen ist, wo er inzwischen lebt und deutsch schreibt. In gewisser Hinsicht ein literarisches Exil, obwohl ich nicht weiß, ob er mit dieser Bezeichnung einverstanden ist. Der Autor Dariusz Muszer ist mit seiner Hauptfigur nicht verwandter oder verschwägerter als jeder andere Autor mit seinen Figuren. Christoph Hein bemerkte kürzlich zu dieser Problemlage, daß in allen Figuren seiner Romane und Erzählungen Anteile seiner Persönlichkeit eingegangen sind. Wenn er mal tot sei, wäre die Summe dieser Figuren annährend seine entblößte Gestalt. Aufmerksame Leser werden solche Aussagen immer wieder lesen, weil die Autoren immer wieder dazu genötigt werden.

»Die Freiheit riecht nach Vanille« ist ein Roman, wie der Buchdeckel schon verrät. Ein Roman, der zu Beginn eine Vorspeise und am Ende eine Nachspeise mitliefert, also kein Vor- und Nachwort, keinen Pro- und Epilog. Damit setzt nicht nur der Titel sinnliche Signale. Wenn ich jetzt noch verrate, daß das Motto der Vorspeise aus dem Roman »Hunger« von Knut Hamsun stammt, dann weiß jede geübte Leserin (auch jeder ebensolche Leser): Wir befinden uns auf literarischem Gelände. Achtung! Erster Satz: »Ich bin das kleinste schwarze Arschloch im Universum. Seit meiner Geburt verschlinge ich alles, was mir in die Finger kommt, sogar mich selbst.« Ich versichere Ihnen, die Wucht des ersten Satzes mit allen Nebenaspekten und Hintersinnigkeiten hält der Autor über die Strecke des gesamten Romans zwar nicht ganz, aber doch nahezu durch. Das Buch, das sich im großen Bogen weglesen läßt, hält zahlreiche Irritationen, Sprünge und Ungereimtheiten bereit, für meinen Geschmack bisweilen zuviel. Aber es ist auch eine verrückte Geschichte. Ein Schelmenroman.

Die Heimsuchungen der Freiheit

Aus der Laudatio von Martin Ahrends, gehalten und geschrieben zur Preisverleihung:
»Dariusz Muszer erzählt die Heimsuchungen der Freiheit, er erzählt, wieviel komischen, verzweifelten Aufwand man betreiben kann, sie nicht auf sich nehmen zu müssen, die vanillesüße, bittere Freiheit. Wie unerträglich sie sein kann, wenn man als ausgewachsener Untertan hineingeworfen wird. Und wie Geschichte, Herkunft, Schicksal zur moralischen Entlastung eines neunmalklugen Bösewichts herhalten können. Ein Vorzug des Buches ist, daß von all diesem nicht die Rede ist.«

Crash-Kurzkurs der Story: Naletnik, der Held, ist Massenmörder, was sich aber als eines der vielen Hirngespinste des Romans herausstellt, Naletnik ist ein „gefälschter Germane, ein sorbischer Schamane, ein verfluchter Mischling, ein europäischer Köter, ein Vierteljude im Weltall“ rutschte als „Außerirdischer“ auf einem sorbischen Opferstein auf der polnischen Seite der Oder in die Welt; die Mutter eine Kindsmörderin. Naletnik setzte sich nach selbstverständlich (bei der Herkunft!) schwierigster Kindheit nach Deutschland ab, nach Hannover, wo er ins unterirdische Hauptbahnhofsmilieu gerät und in die Fänge eines berühmten Schriftstellers, der in dieser Szene Stoff für seine Bücher sammelt und der seine Informanten, hat er ihnen ihren Lebens-Stoff ausgesaugt, anschließend umbringt. Diesem Umstand verdankt sich Muszers Roman, wie uns die erwähnte Vor- und Nachspeise weismachen will. Warum sollten die Leser das nicht glauben? Und: Ein Höhepunkt des Romans ist Naletniks Ankunft und Aufenthalt im Durchgangslager Friedland wir kommen in Deutschland von den Lagern nicht los es dürfte der erste literarische Einblick in dieses deutsche Spezial-Lager überhaupt sein.

Stimmen und Meinungen

»Lügen gehören zum Leben, wie das Vergessen zum Tod, und man sollte auf keinen Fall versuchen, das zu ändern, denn wir haben ohnehin schon genug Chaos.« (Dariusz Muszer, Die Freiheit riecht…)

Mit »zynisch, pessimistischer Feder« sei die Geschichte erzählt, begeistert sich eine Kurzkritik und spricht von „Schärfe, Humor und einem seziererischen Blick.“ Ein anderer Rezensent stellt fest: „Von einem Polen in deutscher Sprache geschrieben, ist es doch, Gott sei Dank, ein »polnisches« Buch geworden, voll von schwarzem Humor und fantastischen Überschlägen“. Die Rezensentin der Süddeutschen Zeitung in München widmete dem Romandebüt mehr Platz als die Tagespresse der Romanstadt Hannover und wenn sie auch der Geschichte „weder Spannung noch Witz absprechen“ kann, so findet sie sich doch nicht „recht in den Bann gezogen“. Sie trifft mit ihren daraufhin angestellten Vermutungen: „…allzusehr auf einen sicheren Effekt bedacht…“ und „…der etwas zu ereignisreichen Handlung, die man statt mit Neugier mit einer gewissen Anstrengung verfolgt?“ Zudem glaubt sie noch eine „seltsame Kälte“ zu spüren, die von dem Roman ausgehe.

Aber: Das spricht nicht gegen das Buch, für das ich auch und gerade nahezu ALLE in Hannover und Niedersachsen noch Romane Lesende, erwärmen möchte. Sie werden wiedererkennen, lachen, den Kopf schütteln, werden einen deutsch-polnischen-polnisch-deutschen Autor kennenlernen, der nicht nur um die Vierzig ist, sondern etwas erlebt und zusagen hat. Und wie er es sagt, das verspricht mehr und weiteres. Es ist, von einigen Gedichtbänden und verschiedenen Veröffentlichungen Dariusz Muszers in Polen und Deutschland abgesehen, ein prächtiger, wort- und bilderreicher Anfang. Ihn als einen der jungen Autoren dieser Republik zu bezeichnen, würde die aufgescheuchten Fliegengewichte der von und zu und auf und ab Schreiber mit den Doppel- und Dreifachnamen aufwerten. Die Freiheit riecht eben nach Vanille, das ist, wie wir wissen, das Ergebnis eines bestimmten Prozeßes, siehe oben, der sich natürlich künstlich auch herstellen läßt, das wissen wir selbstverständlich.

Der Autor

Der Autor wurde – so heißt es in seiner Vita für deutsche Leser – 1959 in Oberhof (Polen) geboren und machte 1977 sein Abitur in Landsberg, studierte in Posen an der Adama Mickiewicza Universität Jura und ist seit 1985 Magister der Rechtswissenschaften. Er erhält als Jurist Arbeitsverbot und ist in vielen Berufen tätig: Schlosser im Glashüttenwerk, Arbeiter in einer Tischlerei und in landwirtschaftlichen Betrieben, Kellner, Rausschmeißer, Musiker, freier Journalist, Übersetzer, Prospekt- und Zeitungsverteiler, Schauspieler, Regisseur… Seit 1981 veröffentlicht er Erzählungen, Gedichte, Feuilletons, Reportagen und Rezensionen. Kurz, er hatte, bevor er nach Deutschland kam, bereits umfangreich publiziert. Zum Angewöhnene – weil es doch kein Hannover-Roman ist – noch diese schöne Passage über die „Stadt der Untoten“: „… zufällige, stets vernebelte Haltestelle, an der man auf ein besseres Leben und bessere Liebe wartet, aber es kommt nichts.“ Dieser Roman ist fast schon ein Drehbuch für einen amerikanischen Regisseur und Dennis Hopper hätte darin eine Rolle.

Forum, Nr. 2/2000
© Oskar Ansull

Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten