Sollten Exilautoren nur politisch korrekt schreiben, um der eigenen Gemeinde und dem Vaterland nicht zu schaden? Anmerkungen zur neuen Exilliteratur aus Osteuropa am Beispiel zweier polnischer Schriftsteller in Deutschland.
„Die Wahrheit darf man vor Fremden nicht wiederholen.“ Diesen Satz, so Karl Kraus, benutzen „die Idioten sämtlicher Vaterländer“, um kritische Literaten als „Nestbeschmutzer“ zu diffamieren. In einer Besprechung neuer Emigrantenromane (taz vom 3. 1. 2000) erwähnt Helmut Höge die Bedenken gegenüber den polnischen Exilautoren Krzysztof Maria Zaluski und Dariusz Muszer, deren „offenherzige Prosa den Neonazis Munition für Ausländerfeindlichkeit liefern könnte“. Dieses Argument, von entrüsteten Einwanderern wie besorgten Einheimischen angeführt, stellt die Frage nach der Wirkung und der Verantwortung dieser Literatur. Es deutet aber auch fragwürdige Zusammenhänge an.
Die Hauptfigur von Dariusz Muszers Roman „Die Freiheit riecht nach Vanille“ (A1-Verlag, München 1999, 34 Mark) ist ein Migrant aus dem Weltall, der in Polen landet, später nach Deutschland einreist und die finstersten xenophobischen Fantasien bedient. Zaluski porträtiert Emigranten im Zeichen von Raffgier und Anbiederung. Beide Autoren haben eine Vorliebe für derbe Sprache und grotesk überspitzte Sittenbilder. Über die ästhetische Qualität dieser drastischen Prosa lässt sich hervorragend streiten. Doch wohin führt die Spekulation, das rechte Lager könnte sie missbrauchen?
Dass es sich bei den vorliegenden Büchern keineswegs um authentische Erfahrungsberichte, sondern um literarische Provokationen handelt, ist offenkundig. Selbst Neonazis dürften der Lebensbeichte eines Außerirdischen – und sei er auch aus Polen nach Deutschland eingewandert – nur bedingt dokumentarischen Aussagewert beimessen. Davon abgesehen, suggeriert der Hinweis auf die Brauchbarkeit dieser Romane für braune Propagandazwecke eine kausale Verbindung zwischen dem Fremdenhass und der Wesensart des Fremden.
Es stimmt zwar, dass die Ausländerfeindlichkeit (im Unterschied zum Antisemitismus) eines leibhaftigen Gegenstandes bedarf – mehr aber auch nicht. Auf Realien kommt es nicht an. Schemenhafte Figuren, auf die sich dumpfe Ängste und Schuldzuweisungen übertragen lassen, genügen voll und ganz. Fremdenhass produziert seine eigene Energie und kann als Rohstoff alles gebrauchen: Bedürftigkeit wie Erfolg des Fremden, Assimilation und Abgrenzung, Kraut und Rüben. Die Neonazis fabrizieren ihre Geschosse selbst und sind auf auswärtige Lieferanten nicht angewiesen.
Angenommen, rechte Ideologen würden sich der Fiktion von Zaluski oder Muszer bedienen, um die Echtheit ihrer Schreckgespenster zu belegen. Hieße das, die Schriftsteller hätten sie so nicht schreiben sollen? Und wenn auch Durchschnittsspießer satirisch übersteigerte Darstellungen für bare Münze nähmen? Dürfen Einwanderer nur als untadelige Menschen geschildert werden?
Provokation gehört zum Schreiben wie der Schweiß zum Leistungssport. Der springende Punkt ist nicht, ob man Minderheiten verspotten darf, sondern wer es tut. „Herrschaften, warum engagiert ihr nicht mich!“, rief einst Kurt Tucholsky den Antisemiten zu. „Für 67,50 Mark monatlich und freie Pension mit zweimaligem sonntäglichem Ausgang liefere ich euch über die Juden ein Material, das wenigstens echt ist – ihr kennt sie nicht einmal.“ Das Karikieren bestimmter Milieus sollte man Insidern überlassen – nicht nur der Sachkenntnis wegen. Dass die Landsleute nicht nur Beifall spenden, versteht sich von selbst. Man darf die Beobachtungen eines Exilautors diskutieren und ihre Treffsicherheit hinterfragen. Doch die Mutmaßung, er könne dem Feind sich selbst belastendes Material in die Hand spielen, erinnert an eine Gesinnung, die in der Geschichte der Zensur Tradition hat. Aus gutem Grund wurde dem Gegner meist mehr Gewicht beigemessen, als ihm zukam.
In der Befürchtung deutscher Kritiker, selbstironische Migrantenliteratur könnte der Diskriminierung Nahrung geben, klingt etwas an, was sich als Fürsorge ausgibt, doch Unbehagen weckt: Damit werden die Autoren indirekt für fremdenfeindliche Angriffe mitverantwortlich gemacht. Dazu zwei Anmerkungen: 1. Der Ursprung des Fremdenhasses liegt im Wesen des Hassenden, nicht in dem des Gehassten. 2. Die deutsche Ausländerfeindlichkeit ist in erster Linie ein Problem der Deutschen, nicht der Ausländer.
Die Rede ist hier nicht von den Spannungen, die kulturelle Differenz erzeugt. Das Aufeinandertreffen verschiedener Denkmuster, Lebensweisen und Wertvorstellungen schafft zwangsläufig Irritationen – Einwanderer gehen damit nicht besser um als Einheimische. Beide sind davon überzeugt, dass ihr System das einzig richtige ist. Dass die jüngeren Exilschriftsteller aus Osteuropa Literatur als Provokation betreiben, ist ein gutes Zeichen. Das Selbstbewusstsein, das sich in ihren karikaturhaften Bekenntnissen behauptet, kann als Indiz für ein gewachsenes Sicherheitsgefühl gewertet werden – nicht zuletzt weil sie auf die Urteilsfähigkeit der deutschen Leser vertrauen. Die Spannungen, die Fremdheit hervorruft, lassen sich dadurch zwar auch nicht abschaffen, aber vielleicht leichter ertragen.
Die Tageszeitung, 31. Januar 2000
© Olga Mannheimer
Dariusz Muszer: Die Freiheit riecht nach Vanille, Roman. A1 Verlag, München, 216 Seiten