Gerda Kruss: Steriles Jetzt

Die Wahrheit will wieder keiner wissen:
»Gottes Homepage«,
ein Roman von Dariusz Muszer

 

Gottes HomepageEntweder wird einem in sozialen Utopien die historisch vorprogrammierte Glückseligkeit durch den Sieg einer gerechten Gesellschaftsordnung verkauft, oder aber Ökokollaps und Faschismus werden prognostiziert. Dariusz Muszer, bekannt durch seine Romane »Die Freiheit riecht nach Vanille« und »Der Echsenmann«, beschreibt in »Gottes Homepage« dagegen eine sterile Welt des ewigen Jetzt. Die Erde ist bewohnt von geklonten Arbeitssklaven und von Hologrammen einstmals lebender Menschen. Unter Aufsicht der »Himmelblauen«, einer außerirdischen Spezies, fristen wenige übriggebliebene menschliche Originale ein sinnloses Dasein. Den »Himmelblauen« verdanken diese letzten Menschen »Gottes Homepage«, eine vermeintlich allwissende Datenbank, auf der alle Informationen aus der Zeit vor Ankunft der »Himmelblauen« erfaßt sind.

Gospodin Gepin, der Held des Buches, bemerkt, daß immer mehr Informationen von »Gottes Homepage« gelöscht werden, und beschließt, der verwirrenden Welt entschwindener Daten ein Schnippchen zu schlagen, indem er auf ganz altmodische Art seine Erinnerungen zu Papier bringt. Das Ergebnis entspricht jedoch nicht den Erwartungen der Behörden, die sein Angebot zunächst befürwortet hatten. Denn Gepin ist Veteran des Zeitalters der Kriege und Bürgerkriege, die der Ankunft der »Himmelblauen« vorangingen. In seinen Aufzeichnungen berichtet er von Plünderungen, Folter, blutigen Gemetzeln des Militärs und der Ethnomilizen – alles Informationen, die der offiziellen Geschichtsschreibung widersprechen und daher auf »Gottes Homepage« nicht verzeichnet sind.

Muszers Roman ist eine eigenartiger Mischung aus konsequenter Fortschreibung genau beobachteter gesellschaftlicher Entwicklungen und deren ironischer Brechung durch groteske Überhöhung. Als in Deutschland lebender Pole ist er in der Lage, die gegenwärtige Situation in Ost- wie auch als auch in Westeuropa detailliert darzustellen. Die von ihm daraus abgeleiteten Bilder vom gesamteuropäischen Bürgerkriegschaos der Zukunft machen nicht froh. Urkomisch sind dagegen die Schilderungen von der Endzeitwelt und die Berichte von geradezu makaberen Manipulationen der Vergangenheit und Zukunft.

Selbstverständlich gibt es „im Zeitalter des Regenbogens« keine staatliche Zensur. Diese ist bekanntlich ein Kennzeichen totalitärer Diktaturen, die zum Glück für immer der Vergangenheit angehören. Zensiert wird natürlich trotzdem: »Jede Gesellschaft ist im Grund genommen totalitär und zensurverliebt. Meistens hat sie davon aber keine Ahnung.«

© Junge Welt – Die Tageszeitung, 21.05.2008
© Gerda Kruss

Dariusz Muszer: Gottes Homepage, Roman. A1 Verlag, München, 219 Seiten