Kersten Flenter: Mitfühlende Ratlosigkeit

Der EchsenmannMörderisches Hannover:
Dariusz Muszers „Der Echsenmann“

 

Der Schauplatz: mitten in Hannover. Der einzige Zeuge des Mordes kann sich an nichts erinnern, und während Polizeimeister Eckard auf der Suche nach der Wahrheit immer stärker in den Bann ihrer Unmöglichkeit gerät, begleiten wir den Helden in Dariusz Muszers neuem Roman, den taxifahrenden Phantasieberater Espen Askeladden, auf seinen nächtlichen Streifzügen durch die Stadt.

Er ist ein Detektiv in eigener Angelegenheit, eine Art Jekyll & Hyde-Ausgabe des 21. Jahrhunderts, deren Persönlichkeit sich in den Spiegelungen seiner Mitmenschen ständig wandelt. Mal ist er Russe, mal Norweger, mal Bulgare: Die Geschichten, die er beim Taxifahren spinnt, machen Fragen nach Märchen oder Wirklichkeit überflüssig und ergeben immer neue Rätsel. Warum verwandelt sich Askeladden nachts in eine Echse, und wo ist seine verschwundene Liebe Lokisa? Und wären da nicht seine skurrilen Begleiter wie der menschliche Gartenzwerg Jadollah, , die schwarze Prinzessin Ylajali, die nachts durch die Eilenriede streift, oder Chantal, seine suizidgefährdete Mitbewohnerin und Hobbyhure – die mitfühlende Ratlosigkeit des Lesers könnte nicht größer sein.

Treffsicher und präzise in seinen anarchischen und humorigen Dialogen, ist „Der Echsenmann“ ein Entwicklungsroman der besonderen Art. Muszer, 1959 in Westpolen geborener hannoverscher Autor, zeigt nicht nur, dass diese Stadt durchaus romantaugliche Schauplätze bietet. Nein, er präsentiert sich auch in seinem zweiten Roman (nach „Die Freiheit riecht nach Vanille“) als äußerst fabulierfreudiger Autor. Den „Echsenmann“ zu lesen, ist wie das Hinterzimmer einer dunklen Kneipe zu betreten, in der Autoren bei einer stummen Pokerrunde sitzen – und Muszer sitzt lächelnd dabei und verteilt die Karten.

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 29. November 2001
LIT 4U
© Kersten Flenter

Dariusz Muszer: Der Echsenmann, Roman. A 1 Verlag, München, 208 Seiten