Die Würde der Steckdose ist unantastbar

Dariusz Muszer antwortet auf Fragen
zu seinem Roman »Gottes Homepage«

 

Gottes HomepageEnno Prien: In Ihrem Roman »Gottes Homepage« schreibt ein Herr Gepin, der im 88. Violett lebt und 128 Jahre grau ist, seine Memoiren. Er tut das kurz vor seiner vierten Runderneuerung als einer der letzten Menschen; es gibt keinen Tod mehr und die Erde bevölkern vor allem Geklonte und Außerirdische, die Himmelblauen. Das alles wirft Fragen auf. Aber am Ende des Buches hat Ihr Held absolut »keine Lust, auch noch Fragen nach meinem Roman beantworten zu müssen«. Wollen wir es dabei belassen? Ende des Gesprächs?

Dariusz Muszer: Das hätten Sie wohl gern! Aber im Ernst: Unser Gespräch gleich am Anfang zu beenden, wäre für mich die logischste Lösung überhaupt. Das Buch wurde ja schon geschrieben und in den Kosmos, also zur Quelle, zurückgeschickt. Die Leser sollten jetzt entscheiden, ob sie die Quelle direkt anzapfen wollen oder vielleicht einen alternativen Weg einschlagen und das Buch auf herkömmliche Art und Weise erwerben. Als Reisender zwischen den Welten muss ich mich an die Sitten des Landes anpassen, in dem ich mich gerade aufhalte. Da in Deutschland das grundlose Maulaufreißen zu den neuen Bräuchen gehört, würde ich mich jetzt gern darin üben. Fahren Sie also bitte fort.

Wir wollen ja aus Büchern etwas lernen. Können Sie uns beschreiben, wie wir uns eine Runderneuerung bei Ihnen persönlich vorstellen dürfen?

In meinem Buch funktioniert das ganz einfach: Man geht in eine städtische Klinik und wird von einem Scharlatan runderneuert, umsonst wohlbemerkt. Bei mir persönlich würde das aber nicht gehen. In meiner Stadt gibt es kaum Scharlatane und keine Krankenkasse, die bereit wäre, für meine Runderneuerung aufzukommen.

Sie sind in Polen geboren, leben aber schon 19 Jahre in Deutschland und erschrecken uns jetzt mit dem Satz: »Jede Gesellschaft ist im Grunde totalitär und zensurverliebt. Meist hat sie davon aber keine Ahnung.« Lassen Sie uns Unwissenheit als Entschuldigung durchgehen?

Natürlich. Ich selbst gehöre auch zu den Unwissenden, und zwar in vielen Bereichen. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie all die Pflanzen heißen, die in meinem Garten so schön wuchern. Des Weiteren habe ich keine Ahnung, was sich gerade auf dem Planeten E567 abspielt und ob der dort gerade gewählte Präsident sechs oder zwanzig Beine hat. Zum Glück belastet mich das nicht zu sehr.

Die von Ihnen entdeckte Zensur der Gleichgültigkeit ist doch nicht wirklich gefährlich, höchstens für Sie, und vielleicht noch für das gleichgültige Volk…

Ja, Sie haben recht, die Zensur der Gleichgültigkeit ist für die Machthaber überhaupt nicht gefährlich. Sie wird sogar von ihnen unterstützt. Man schafft Probleme, die keine wirklichen Probleme sind, und man diskutiert über sie bis zum Umfallen. Das Volk wird müde und schaltet aus. Mit dem gleichgültigen Volk kann man alles machen: Kriege führen, die Globalisierung ankurbeln, Sollzinsen für ein überzogenes Konto maßlos erhöhen, vergiftetes Essen in die Regale stellen und so weiter. An dieser Stelle möchte ich jedoch betonen: Ich bin kein Arzt, ich bin nur der Schmerz. Ich beobachte, schreite aber nicht ein. Leider konnte ich nicht dabei sein, als das Römische Reich zugrunde ging, weil ich damals anderswo beschäftigt war. In diesem Leben bekam ich aber die Möglichkeit, den langsamen Zerfall von alten, nicht immer guten Werten zu begrübeln. Eine schmerzhafte, aber wunderbare Erfahrung.

Ihre Vision im Roman verheißt eine bessere Zukunft. Bei den Geklonten muss man nur einen neuen Chip einsetzen oder eine neue Software installieren – und fertig sind die Umprogrammierten! Traumhaft. Und wer schreibt die Programme?

Der liebe Herrgott selbst. Er dreht sich, genauso wie wir, in einem Kreis. Erst wenn wir Menschen verschwinden, wird es Ihn in seiner alten Gestalt nicht mehr geben. Dann wird Er sich andere »Menschen« ausdenken müssen. Hoffentlich werden das dann keine Parasiten sein, die die Erde zerstören. In dieser Hinsicht sind Pantoffeltierchen und Elefanten klüger als wir. Aber sie können nicht Schlittschuh laufen und E-Mails versenden, noch nicht.

Sie gehen mit Ihrer Wahlheimat nicht immer zimperlich um. Herr Gepin und seine Mutter werden irgendwann in die Verbannung nach Hannover geschickt (hoffentlich liest das dort keiner), und er muss (muss!) seine Memoiren in Deutsch verfassen. »Ein Menschenleben auf Deutsch zu verarbeiten ist keine angenehme Aufgabe«, sagt er. Ist das auch Ihre Meinung?

Noch weniger angenehm wäre es, ein Menschenleben auf Suaheli oder Albanisch zu verarbeiten, wenn man die Sprachen nicht beherrscht. Ich mag es, auf Deutsch zu schreiben, weil das für mich eine ungeheure Herausforderung ist. Deutschland hat mir sehr geholfen, als ich aus Polen herausgeekelt wurde. Und noch eins: Hannover ist meine Lieblingsstadt. Noch nie habe ich freiwillig so lange und so gern in einer Stadt gelebt. Das hat etwas zu bedeuten! Wir Hannoveraner sind eine bunte Mischung aus allen möglichen Nationen des Weltalls. Ein paar von uns können sogar noch Deutsch lesen und fließend sprechen.

Ihre abfälligen Bemerkungen über Journalisten möchte ich hier nicht wiederholen. Aber es kommt noch dicker. Ein guter Politiker, schreiben Sie auf Seite 64, sei »dumm wie eine Steckdose, arrogant wie ein Türsteher und eingebildet wie ein antiautoritär erzogenes Kind«, außerdem mache er krumme Geschäfte. – Ich gebe Ihnen hier Gelegenheit zu widerrufen.

Ich widerrufe die Steckdose. Ich kenne viele anständige Steckdosen, die gut den Saft zu meinen Elektrogeräten leiten; manche habe ich sogar selbst als Freizeitelektriker zum Laufen gebracht. Außerdem sollte man nützliche und ehrbare Dinge nicht durch Vergleiche mit Politikern beleidigen oder in den Schmutz ziehen. Die Würde der Steckdose ist unantastbar! Mit Schaltern verhält sich die Sache ein wenig anders.

Von der Homepage Gottes, die natürlich alles weiß, verschwinden plötzlich wichtige Daten, und die Himmelblauen in Ihrem Buch schneiden jedes Telefonat mit… – Haben Sie mal ein Praktikum beim Verfassungsschutz oder in einem Ministerium gemacht?

Das brauchte ich nicht zu machen. Ich verweile schon lange genug auf der Erde, um zu wissen, dass alle hiesigen Staaten auf ähnliche Art und Weise funktionieren. »Gebt mir Nutella, dann gebe ich dir meine Bürgerrechte«, schreibt Gepin in dem Roman. Das Abhören von Bürgertelefonaten gehört zu den Grundrechten jedes Gebieters. Zur Zeit herrscht bei uns eine polizeilich gesteuerte Demokratie. Eine echt passable Staatsform. Die haben wir uns wirklich verdient. Um wahre Informationen austauschen zu können, müssen wir jetzt lernen, in Rätseln zu sprechen.

Herr Gepin lebt zeitweise in zwei Existenzen gleichzeitig, als Gärtner im Kloster Lehnin und als Aufständischer auf dem Schlachtfeld. Das dürfte Ihnen vertraut sein. Kaum ein Schriftsteller kann als Schriftsteller existieren…

Na und? Zuerst bin ich ein Mensch, dann Schriftsteller. Und in beiden Rollen fühle ich mich recht wohl. Einen Gartenzaun zu bauen, Konfitüre zu kochen oder Pilze zu sammeln ist genauso wichtig und notwendig, wie ein Gedicht oder einen Roman zu schreiben.

In Ihrer fünften, sechsten und siebenten Existenz arbeiteten Sie als Dachdecker, Staatsanwalt und Totengräber. Gibt es eine innere Verbindung zwischen diesen Tätigkeiten?

Nicht wirklich. Darüber hinaus habe ich als Tischler, Kellner, Schlosser, Musikant, Taxifahrer, Theaterinstrukteur im Kulturhaus, Journalist, Prospektverteiler, Regisseur, Beleuchtungstechniker, DTP-Fachkraft, Dolmetscher und sogar als Finanzberater gejobbt. Ich war also flexibel wie die Sohle eines Turnschuhs. Reich wurde ich davon nicht. Es gibt aber eine äußere Verbindung zwischen allen meinen Tätigkeiten: Wie unsere ganze abendländische Gesellschaft war ich fixiert auf Geld.

Die Kollegen unserer Ratgeber-Redaktion »Wege zur Traumfigur« wüssten gern genauer, wie es Ihr Herr Gepin geschafft hat, nach zwei Jahren Ehe mit seiner Frau Freyja 30 Pfund abzunehmen. Man kann sich zwar was denken, aber am Ende des Romans stellt sich heraus, dass es Freyja gar nicht wirklich gibt, sie ist eine Ausgedachte. Auch mit einer imaginierten Frau Pfunde zu verlieren – das wäre eine frohe Botschaft für unsere Singles.

Gerade haben Sie verraten, dass der Gärtner der Mörder ist! Nun gut, vielleicht hindert das die Menschen trotzdem nicht, das Buch zu lesen. Und außerdem: Als Gepin 30 Pfund verlor, war Freyja noch keine Ausgedachte, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut. Also leider keine frohe Botschaft für Singles. Oder doch? Vielleicht so: Bei ausgedachten Frauen und selbstverständlich auch Männern muss man ein bisschen erfinderisch sein. Durch bloße Politik der freien Hand im eigenen Bett verliert man kaum Pfunde. Man sollte dazu vielleicht auf einen Baum klettern oder auf die Zugspitze steigen und versuchen, es da zu machen. Viel Spaß!

In Ihrem Buch kommen viele Polen vor, aber keine berühmten. Hat es Sie nicht gereizt, wenigstens mal kleine, dicke Zwillingsklone auftreten zu lassen?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich bitte um die nächste.

Literatur-Eule Eulenspiegel SPECIAL zur Frankfurter Buchmesse 10/2007
© Eulenspiegel
© Dariusz Muszer

Dariusz Muszer: Gottes Homepage, Roman. A1 Verlag, München, 219 Seiten